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Tag: Spuren verwischen.

Leave no trace

Leave no trace

Wir müssen darüber reden. Und wir müssen es eigentlich immer wieder tun. Daran führt kein Weg vorbei. Denn die, die mit unseren Inhalten irgendwie Geld machen, rüsten auf, werden besser, haben mehr Macht und versuchen immer geschickter diesen Umstand vor uns zu verheimlichen.

Es ist eine alte Weisheit, dass das was uns kostenlos angeboten wird in der Regel uns selbst zu Waren macht. In den Zentralen großer Dienstleister werden unsere Daten als das Öl der Zukunft angepriesen. Was das bedeutet, inwiefern dieser Satz Sinn macht, wird als Geheimnis gehütet.

Daten sind etwas sehr abstraktes. Sie sind überall, aber nicht greifbar. Alles was wir heutzutage tun, erzeugt Daten. Wenn wir mit einem Auto zu einem Treffpunkt fahren, verwenden wir ein Navigationsdienst. Um frühzeitig über Verkehrshindernisse informiert zu werden, nutzen wir dazu einen Kartendienst, der aktuell darüber informiert ist. Im Austausch stellen wir diesem Kartendienst Informationen über unsere Fahr zur Verfügung. Wir tuen dieses nicht bewußt. Nicht in jedem Kartendienst sind wir eingeloggt. Aber vielleicht sind die Dienstleister sowieso mit uns vertraut, weil sie uns noch andere Angebote machen, die wir dankend annehmen. Zum Beispiel Apps in einem Online-Store oder Suchfunktionen oder Nachrichtendiensten. Aus der Kombination unserer Informationen (Gerätedaten, Einlogdaten, Bewegungsdaten) wird sehr klar, warum wir einen Weg nutzen. Aus der Regelmäßigkeit ergibt sich ein Profil. So wissen Navigationsdienste meist sehr schnell, wo wir daheim sind, wo unser Arbeitsplatz ist, wer unsere Freunde sind, wo wir übernachten. Beziehungen können aufgeschlüsselt werden. Es wäre zum Beispiel sehr gut möglich, über Übernachtungsdaten, Fahrten zum Arbeitsplatz und Messengerverbindung herauszubekommen, welche Arbeitnehmer in einer Firma ein freundschaftliches, ein intimes oder gar kein Verhältnis haben.

Wer Single ist, wer außereheliche Beziehungen frönt, wer in einer Partei arbeitet, sich ehrenamtlich betätigt, ein Leiden hat oder ein Alkoholproblem. Ein Kartendienst, ein Fitnesstracker, ein Messengerdienst und eine eindeutige Identifizierung würden hier sehr schnell merken, wer welche Wege mit welcher Regelmäßigkeit nutzt.

Eine schwule Sauna, eine Kneipe oder ein Arzt, die regelmäßig besucht werden, würden schon ausreichen, sensible Informationen über Gesundheit, Sozialverhalten und Sexualität einem Betreiber einer Dienstleistung zur Verfügung zu stellen.

Nun kann man davon ausgehen, dass Daten in ihrer Maße einzelne Personen unsichtbar machen. Oder es gibt die Möglichkeit zu sagen: Erhöhte Sichtbarkeit senkt die Verletzlichkeit. Soll heißen, wenn jeder über jeden alles weiß, was ist dann das besondere an einem merkwürdigen Verhalten? Denn, unterm Strich, sind wir ja alle irgendwie, irgendwo merkwürdig. Haben geheime Wünsche, lügen ab und zu, verheimlichen etwas, wollen uns nicht erwischen lassen. Und wenn wir alle davon wissen, wie seltsam wir uns benehmen, verhalten, oder was wir vor uns verheimlichen, dann kann uns ja nichts passieren, denn wir gehen ja offen miteinander um. In einigen nordischen Ländern ist es mögliche sehr einfach und sehr unproblematisch heraus zu bekommen, wer wieviel verdient. Ein Thema, dass uns in Deutschland immer noch Probleme bereitet. Wir reden ungern über unseren Wohlstand oder unsere Armut. Uns ist das eine, wie das andere peinlich. Wir würden gerne wissen, was andere verdienen, aber wir wollen uns ungern offenbaren. In Ländern, in denen darüber wesentlich offener geredet wird, auch um eine Lohngerechtigkeit zu fördern hat sich das nicht nur als unproblematisch erwiesen, sondern war auch förderlich für das Lohnniveau. Eine ähnliche Argumentation verfolgten auch die Menschen, die vor vielen Jahren prominente Schwule und Lesben outen wollten. Die Argumentation war: Wenn Sichtbarkeit gefördert wird, und es dadurch erkennbar wird, wieviele Menschen das betrifft, dann dient es all den Menschen, die sich nicht trauen oder einsam fühlen, weil sie meinen sie seien die einzigsten in einem heterosexuellen Umfeld. Was also ist so schlimm daran, wenn alle alles über uns wissen? Werden wir dadurch nicht freier?

Ja und nein. Gäbe es eine Datengerechtigkeit, das heißt, wäre dieses Wissen gleichmäßig verfügbar und verteilt, dann würde vielleicht tatsächlich eine freiere Gesellschaft existieren, die ihrer Fehlbarkeit bewusst ist. So einfach scheint das aber nicht zu funktionieren, denn wir haben es mit einigen kommerziellen Aspekten zu tun. Die großen Firmen, die sich massiv für unsere Daten interessieren sind überhaupt nicht an einer Offenheit interessiert. Im Gegenteil. Die Tatsache, dass es sich bei Daten um ein rares, goldähnliches Gut handelt, führt dazu, dass sie im geheimen, verdeckt operieren. Der Abbau dieses Rohstoffes wird nicht offensichtlich im Tagbau betrieben, sondern im Geheimen. Niemand von uns muss einen Volkszählungsfragebogen über Wohnverhältnisse und Einkommen ausfüllen. Wir würden uns alle wehren, wenn jemand so tief eindringen wollte, und zu erfahren wünscht, welche Filme wir in unserer Freizeit schauen und welche Spiele wir spielen. Aber tatsächlich führt die Monokultur der Anbieter, die Konzentration des Marktes dazu, dass große Firmen wissen, ob wir aufgrund von Problemen nur noch gluten- und laktosefrei essen, Science Fiction-Filme am liebsten sehen und Personal-Shooter spielen, in die wir Freunde einladen, mit denen wir zusammenarbeiten und das Wochenende verbringen. Das ist kein Kunststück, kein Problem herauszubekommen, dafür braucht es im Grunde keine Cookies, sondern nur die umfassenden Kundeninformationen, die ein Anbieter dieser Dienste mit vorhanden Informationen zusammenknüpfen kann.

Gehen wir von folgender Situation aus: Ein großer Versandhändler, der in seinem Angebot alle Warengruppen hat, lässt uns auch Filme schauen, stellt uns dafür eine App zur Verfügung und gibt uns auch die Möglichkeit Bücher zu lesen und Musik zu hören….

Er kennt unseren Musikgeschmack, er weiß wann wir diese Musik hören. Er kennt unseren Filmgeschmack, und bekommt mit, wenn wir in schlaflosen Nächten, schnell um 3:00 Uhr morgens einen Film schauen. Er weiß, dass wir Vitamin B brauchen, weil wir vegetarisch essen, denn er weiß auch, dass wir das Buch lesen, weil wir es auf seiner App studieren, oder bei ihm bestellt haben. Zu guter Letzt stellt er uns Plattformen zur Verfügung, auf die wir Fotos laden können, Server, auf die wir Firmeninhalte laden und persönliche, kleine sprachgesteuerte Tools, die unseren Alltag erleichtern sollen. Er stellt uns Geräte zur Verfügung, die unser Heim bewachen und unsere Heizung steuern.

Was könnte so ein Anbieter über uns erfahren?

Von wo nach wo wir uns bewegen. Wen wir treffen. Wer zu unserer Familie gehört. Was wir daheim sprechen. Wer vor unserer Tür steht. Was wir lesen. Was wir hören. Wann wir nicht schlafen können. Wann wir romantisch drauf sind. Wieviele Personen in unserem Haushalt sind. Wer unsere Freunde sind. Wer von uns Geschenke bekommt. Wer von uns Geschenke an welchem Geburtstag kommt. Was wir verschenken. Welcher sexuellen Orientierung wir angehören. Welcher Religion wir angehören. Welche politische Richtung wir favorisieren. Ob wir Diäten machen wollen. Ob wir Depressiv sind. Ob wir ein Leiden haben. Ob wir Fremdsprachen sprechen. Welchen Bildungstand wir haben. Wo wir arbeiten. Wo wir in Urlaub sind. Ob wir spontan oder überlegt kaufen…..

Und das sind nur die Dinge, die mir jetzt sofort auffallen. Unterm Strich wissen die Applikationen und Dienste schon bald sehr viel mehr, als das was wir unseren Freunden, Eltern oder Tagebücher anvertrauen. Das Potential an Wissen, dass da heranreift übertrifft unser eigenes Wissen über unser Leben. Es mag utopisch klingen, aber die Frage, ob wir irgendwo waren, ob wir vielleicht ein Alibi haben oder brauchen können in Zukunft Bewegungsdaten entscheiden.

„Leave no trace“ ist ein ethischer Begriff aus der Outdoor-Philosophie. Hinterlasse keine Spuren. Nimm das, was du mit oder in der Natur eingebracht hast, auch wieder mit.

Ich gehöre zu den Menschen, die eine gute Diskussion zu schätzen wissen. Ich liebe es in einem höflichen Umfeld mit Klarnamen zu diskutieren, Beiträge zu schreiben, zu lernen und Dinge anzunehmen. Ich mag das. Kommunikation, lesen und schreiben, sind Dinge, die mich persönlich davor bewahren die Kontrolle zu verlieren. Gerade in Zeiten, in denen Kontakte spärlich sind, und wir darauf angewiesen sind, neue, andere Kommunikationswege zu nutzen, diskutiere ich gerne öffentlich. Verbunden mit den Spuren, die ich sowieso gedankenlos im Netz hinterlasse, mache ich damit mehr verletzbar, als mir wirklich bewußt ist. In Twitter und ähnlichen Diensten, neige ich dazu albern, belustigt und manchmal schwer verständlich zu reagieren.

Das führt dazu, dass ich. mindestens einmal im Jahr komplett alle Tweets (meist so 1500, inklusive aller Likes) lösche. Etwas in Spontanes in Stein zu meißeln liegt mir nicht, denn es ist ersichtlich, dass das Umfeld, in dem man sich im Netz bewegt, kein freundliches, sondern ein mannigfaltiges ist. Es gibt Menschen, die sehr vorsichtig mit ihrer Präsenz umgehen, und es gibt im miteinander auch solche, die nie in Erscheinung treten, aber folgen, beobachten, Schlüsse ziehen, sammeln, und eher undurchschaubar sind.

Wir befinden uns nicht in einer transparenten Gesellschaft, die befreit, sondern in einem intransparenten Gewirr aus tausend Blickpunkten, die wir selbst einnehmen müssen, um zu sehen, was wir schützen wollen.

Daten, die wir streuen, die von anderen gesichtet werden, werden nur durch eine Vergänglichkeit, die wir selbst bestimmen können, für uns beherrschbar. Daher ist es wichtig, dass wir in der Lage sein müssen, auch wenn es nur einmal im Jahr ist, eine Inventur zu machen, die uns zu einem Entschluss führt: Können und wollen wir das wirklich so stehen lassen?

„Leave no trace“- „Hinterlasse keine Spuren, muss nicht dazu führen, dass wir generell keine Spuren erzeugen, sondern es soll zu einem Bewußtsein, wie toll es sein kann, im Netz vergänglich zu sein, vergessen zu werden, und neu anzufangen. Und das ohne, dass man sich einen neuen Avatar, ein neues Pseudonym sucht. Daten, die wir streuen, brauchen eine Transparenz, die sie beherrschbar macht.

Ich war gerne auf den großen, sozialen Medien denn der Klebstoff auf ihnen sind Freundschaften. Man sagt sich, wenn man sich dort entfernt, nicht von Firmen los, sondern von Freunden. Das macht es schwer, das ist der große Schritt. Aber ein lossagen, von diesen Orten, das löschen aller Beiträge ist befreiend. Denn, während die Betreiber und alle anderen, sehr wohl wissen, was man vor einem Jahr in einer unbedachten Minute, zum Wein und anderen Dingen von sich gegeben hat., vergisst man es selbst. Ich hatte nach 1500 Nachrichten keine Ahnung mehr, welche Aussagen ich getroffen habe. Ich bin mir sicher, ich rede viel Blödsinn, Schwachsinn und ausgesprochen dummes Zeug. Ich kann Aussagen, die ich vor Jahren getroffen habe, nur noch schwer als meine eigenen identifizieren. Wie gut, dass ich den größten Unfug nur mündlich von mir gegeben haben. Aber um so wichtiger ist es, dass ich die Herrschaft über all das, was ich tue, sage, irgendwann wieder zurück gewinne. Daher, verwische, lösche, deine Sputen, mache den Weg frei für andere. Leave no trace.