Zu Bennies Fifties muss man zu allererst sagen: Das ist eigentlich kein Plattenladen. Das ist ein bunter Rausch, ein Museum, ein Ort, an dem man sich eine halbe Ewigkeit aufhalten kann und immer noch etwas entdeckt.
Den Haag ist bekannt für seine Gerichtsbarkeiten, seinem internationalen Strafvollzug und seinem Gefängnis. Unweit vom Gefängnis, auf dem Weg nach Scheveningen findet sich in Seitenstraße – in der man es nie vermutet hätte – die größte Sammlung Musikboxen, die ich bisher mit eigenen Augen gesehen habe. Bennies Fifties sieht schon von außen nicht nach einem Record-Store aus. Im Schaufenster findet sich Reklame aus den Fünfziger, Zapfsäulen und ähnliche Accessoires, die aber nicht alle in dem geschätzten Zeitrahmen beheimatet sind.
Das komplette Interieur des Ladens erinnert zwar an die Fünfziger, ist knallbunt und reicht von Klamotten, über Schilder und schlicht alles mögliche bis hin zu erstaunlichen Nerd-Utensilien, die man hier nicht vermutet hätte. Schwer einzuordnen, und der richtige Ort um Entdeckungen zu machen. Alles nicht so richtig zu fassen, und daher braucht es Zeit.
Das wichtigste für die Schallplattensammler: Bennies Fifties hat zu einem gigantischen Teil Neuware. Und hier geht es gnadenlos durch alle Genres, Stile und Veröffentlichungen. Vornehmlich Rock und Popmusik, aber auch Indie ist vertreten. Und zwar so dicht, so gepresst und in einer solchen Zahl, dass man die Fächer erstmal von einem Stoß Platten befreien muss. Man kommt sonst schlicht nicht durch. Mehr passt einfach nicht in die Boxen. Es macht auch Sinn, einfach mal nebendran zu schauen, denn hin und wieder liegt die komplette Discographie eines Künstlers einfach auf dem Boden oder in der Nähe. Dass ich Miley Cyrus hier kaufe, hätte ich nicht gedacht. Aber bei den aktuellen weiblichen Superstars ist es fast unmöglich bestimmte Ausgaben zu vernünftigen Preisen zu bekommen. Hier fand sich eine frühe Platte.
Bennies Fifties Hague (Den Haag)
Es gibt auch eine Menge unsortierter Second Hand Scheiben in der 3 Euro Preislage, die aber mit viel Geduld betrachtet werden müssen. In der Mehrzahl handelt es sich eben um das, was liegen bleibt. Sampler, oder vergessene Helden der Schlagerära. Viel interessanter, und unerschöpflich dürften die Singles sein, die in einer unüberschaubaren, aber gut sortieren Weise fast jeden Namen anboten, der irgendwann mal wichtig war.
Vermutlich verpflichten die Musikboxen, die überall herumstehen, schon dazu. Allein die Musikboxen sind schon ein Besuch wert. Alle sind in einem vorzüglichen Zustand, angeschaltet und erstrahlen in den schönsten Farben.
Die Cramps fanden sich übrigens ebenfalls. Und ich hatte mir irgendwann mal geschworen, sie mitzunehmen, wenn ich eine Platte von ihnen finde. „Flamejob“ mag jetzt nicht das seltenste Exemplar sein, aber es sind die Cramps. Ich hätte es bereut, wenn ich sie nicht mitgenommen hätte.
Scheveningen in Den Haag ist jener Stadtteil, der das Privileg hat, dem Strandareal vorgelagert zu sein. Somit ist Scheveningen schon durch diesen Vorteil ein touristischer Anziehungspunkt. Der Strand selbst ist ausgestattet mit einer Promenade, einer großen Surf-Area, einem Pier und einer unbestimmten Menge an Beach-Bars, die auch das Nachtleben prägen. Kurz, Scheveningen hat alles, was man zum Strandurlaub braucht. Rechts und links des Stadtkerns finden sich zudem fast unendliche Naturschutzgebiete mit einer beeindruckenden Dünenlandschaft. Hier hört der kommerzielle Bereich auf, aber es erstreckt sich dafür ein fantastisches Naherholungsgebiet mit Wander- und Radtourmöglichkeiten. Zu sehen sind sehr urtümliche Wälder mit kuriosen Bäumen, die der – vom Meer kommende – Wind geformt hat, und manche Tiere, die in den Dünen frei leben.
Scheveningen hat einen alten Stadtkern, der um niedrige, kleine Reihenhäuschen ergänzt wurde. Daher kommt ein dörflicher Charakter zustande, der vor allem auf der Keizerstraat mit einigen Cafés und Boutiquen zum Verweilen einlädt. Es gibt die typische Kirche am Rande der verkehrsberuhigten Zone und ein sonntägliches Gemisch aus Bewohner, Touristen, vorbeieilenden Surfern und Betreiber von Galerien, Supermärkten und kleinen Restaurants. Scheveningen lebt und hat seinen Charme. Zu Beginn meiner Aufenthalte in Den Haag, war dieses der Ausgangspunkt für meine Erlebnisse in den Niederlanden. Ich hatte eine kleine, bescheidene Wohnung in Strandnähe gefunden, der ich heute noch hinter trauere.
Meine Beiträge für meine Blogs schrieb ich damals in den Beach Bars. Es gab selten ein Zeitpunkt in meinem Leben, der eher dem Ideal entsprach.
In der Mitte der Keizerstraat, also der Hauptgeschäftsstraße und damit dem Dreh- und Angelpunkt von Scheveningen findet sich seit einiger Zeit „High Definition Records“. Von der Lage kaum zu überbieten, fällt der schmale Laden jedoch kaum in der Zeile seiner Nachbarn auf. „High Definition Records“ beeindruckt weniger durch seine Größe und Masse, als vielmehr durch sein spannendes Händchen für ungewöhnliche Second-Hand-Scheiben.
Es macht Spaß, die Regale zur durchwühlen, und man hat den Eindruck eine Sammlung mit viel Kenntnis und Sinn fürs Detail gefunden zu haben.
Ich habe ein Herz für Themen und Genres, die manchmal unter den Tisch fallen. Und auch wenn „High Definition Records“ die üblichen Verdächtigen aus dem Pop- und Rockbereich ebenfalls abdeckt, fanden sich ganz erstaunliche Alben. Wer Cajun und Zydeco führt, gewinnt in der Regel mein Herz, aber wer außerdem noch Fado im Programm hat, begeistert mich. Wird das ganze mit Klezmer gekrönt, dann bin ich überrascht, aber auch überzeugt.
Die Preise sind durchweg angenehm und angemessen. Im Grunde hatte ich bei allen LPs den Eindruck ein Schnäppchen gemacht zu haben, denn sie waren mir bisher noch nirgendwo begegnet. Mathilde Santing ist in den Niederlanden keine Unbekannte, und hatte in Deutschland zu Beginn der New Wave Zeit kurz versucht Fuß zu fassen (in einer Variante zwischen Pop und sehr leichten Jazz-Anklängen, im Fahrwasser von Anna Domino und ähnlichen Namen), aber von ihr noch etwas zu finden, erfreute mich einfach. Clifton Chenier, quasi der Godfather of Zydeco, ist Pflicht. Al Rapone, der umtriebe Botschafter des Zydeco, der selbst in der DDR damals unterwegs war, ebenso. Und von Amalia Rodrigues, der Königin des Fado, findet sich natürlich viel, aber von ihr könnt ihr mir auch alles verkaufen. Bei Tony de Matos wird es allerdings schon rarer. Er ist in Portugal sicher ebenso bekannt, findet sich mittlerweile aber selten. Theodor Bikel ist nicht wirklich Klezmer-Musik, dazu ist er zu ernsthaft, aber er ist Chronist und Vorreiter in der Veröffentlichung und Verbreitung jüdischer Musik. Seine Sachen sind weitgehend von dokumentarischen Wert. Er ist und bleibt ein wichtiges Steinchen in der jüngeren jüdischen Musikgeschichte. Jünger ist in diesem Zusammenhang durchaus ein Jahrhundert. Und Reinhard Mey auf Holländisch. Ich schätze Reinhard Mey sehr. Ich bin der Meinung, dass deutschsprachige Liedermacher etwas zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Wir haben eine sehr große Tradition an Liedgut, dass in frühen Balladen und Minnegesängen fußt. Manche Lieder wären für Neuinterpretationen sehr geeignet. Reinhard Mey, der ein unermüdlicher und fleißiger Interpret seiner eigenen Werke ist, ist in der Regel für alles aufgeschlossen, singt in mehreren Sprachen, bringt fast jedes Jahr ein Livealbum heraus. Und hat dabei die deutsche Sprache ähnlich spielerisch genutzt wie Lindenberg.
Ich habe nicht alle Plattenläden in Den Haag besuchen können, aber eine so faszinierendere Auswahl im reinen Second-Hand-Bereich, die sich liebevoll gepflegt und kuratiert anfühlte, hatte kein anderer Laden. Obwohl jeder seine Besonderheiten bieten konnte. „High Definiton Records“ ist auch auf Discogs vertreten, und man sollte es sich ansehen. Vielleicht findet sich ja dann Geschmack an einem Besuch in Scheveningen. Lohnt sich.
High Definition Record Store Scheveningen, Den Haag, Juli 2025
Gekauft:
Mathilde Santing – Water under the Bridge
Clifton Chenier – King of Zydeco
Al Rapone & The Zydeco Express – Cajun Creole Music (Ornament)
Etwas versteckt, am Rand des Zentrums von Den Haag, findet sich in einer Nebenstraße Vinyl Grove. Der Name wird gerne falsch geschrieben, doch ich wurde vom Inhaber darauf hingewiesen, dass die Bedeutung von Grove (Hain, Gehölz etc.) ihm am Herzen liegt. Hier gleichbedeutend mit Wachstum und Ansammlung, im Sinn von einem Baum und dessen Wurzeln .Und dieses im Zusammenhang mit Musik und Entwicklung.
Denn Vinyl-Grove ist ein durchaus beachtlicher Ort, der einen Besuch lohnt. Zwar führt der Laden alle nennenswerten und wichtigen Platten im Pop-Rock-Bereich, aber auch ebenso die interessantesten Labels im Afrobeat, Blues und Jazzbereich. Es gibt also auf jeden Fall etwas zu entdecken. Vor allem, wer tiefer in jene Richtungen einsteigen will, die in Niederlanden gepflegt werden, aber in Deutschland eher weniger Material bieten.
Vinyl-Grove hat mehrheitlich Neuware. Second-Hand ist vorhanden, aber nur in kleiner, ausgewählter Menge. Dafür ist die Sortierung der aktuellen Platten ambitioniert und mit guten Kenntnissen für Plattenverlage und ihren besten Veröffentlichungen.
Vinyl Grove Den Haag
Ich besuchte Vinyl-Grove schon zum zweiten Mal, und bin mir sicher, dass ich das bei jedem Den Haag-Besuch wiederholen werde. Der Inhaber zeichnet sich durch eine tiefe Kenntnis auch bei eher weniger geläufigen Themen aus. So gehört Cajun und Zydeco-Musik immer wieder zu den Dingen, die ich in den Stores suche. Oft steige ich nicht weiter ein, weil es sehr davon abhängig ist, ob Blues in der richtigen Tiefe vertreten ist. Oder vielleicht auch Country geschätzt wird.
Vinyl Grove Den Haag
Im Fall von Vinyl Grove war es fast naheliegend sich zu erkundigen, ob ich etwas übersehen habe. Es war nicht erstaunlich, dass wir uns dann eine ganze Weile über Bands, Festivals, Cajun-Akkordeons, raren Veröffentlichungen und deutschen Gruppen unterhielten.
Die Basin-Brothers, deren Namen ich zwar schon kannte, aber deren Platten ich nicht besaß, waren sein Hinweis.
Vinyl-Grove macht schon deswegen Spaß, weil unter der Neuware einiges, zu sehr vernünftigen Preisen, zu finden ist, das woanders nie in den Regalen aufgetaucht oder sehr schnell verschwunden war. Die „Come on in“ von R. L. Burnside ist geläufig, und wahrscheinlich die kommerziellste Platte des alten Bluesmusikers, weil sie im Grunde verflixt geschickte Remixe enthält. Aber „Long Distance Call: Europe 1982“ ist mir bisher noch nie begegnet.
So geht es mir jedes mal im Vinyl Grove. Ich entdecke zu viel, nehme zu viel mit, halte mich zu lange auf, und fühle mich einfach zu wohl.
Say She She ist übrigens eine aufstrebende Soul-Funk Gruppe, die von Nile Rodgers und Chic inspiriert ist. Wer typischen Siebziger-Sound in aktuellem Gewand und klassischer 3-Frauen-Besetzung an den Vocals gerne hört: Es lohnt sich.
Und ein Tipp vom Besitzer des Vinyl-Grove: Das Label von Say She She ist eines der guten und sehr versiert in Sachen Sound und Qualität. Er hat recht.
Gekauft habe ich dort:
R. L. Burnside – Long Distance Call: Europe 1982
R. L. Burnside – Come on in
Say She She – Silver
RY X – Dawn
Basin Brothers – Let’s get cajun
Rotterdam Bluegrass Festival 4,5 & 6 Juli 2025 (Noordplein Rotterdam)
Rotterdam Bluegrass Festival 4,5 & 6 Juli 2025 (Noordplein Rotterdam) Yes Ma‘am
Seit einigen Jahren verbringe ich ca. 10 Tage im Juli in den Niederlanden. Ich besuche dort Mitte Juli das sogenannte North Sea Jazz Festival, das im Ahoy Rotterdam stattfindet. Das North Sea Jazz Festival versucht einen Überblick über die aktuelle Situation im Jazz zu geben und deckt dabei traditionelle Richtungen ebenso wie Randbereiche ab. Als Randbereiche gelten hier Hip Hop, Soul, Electronic und artverwandtes. Das North Sea Jazz Festival gibt sich durchaus experimentell. Zu einem anderen Zeitpunkt gehe gerne nochmal speziell auf das NSJF ein. Es lohnt sich.
Ich arrangiere das in der Regel so, dass ich das Festival selbst auf das letzte Wochenende innerhalb der 10 Tage lege. Die Zeit bis dahin verbringe ich in Den Haag.
Erfahrungsgemäß hat jede Stadt ihre Eigenheiten. In den Niederlanden ist Amsterdam aufgrund seiner lebendigen Kulturszene und seiner Grachten sehr beliebt. Rotterdam ist eher für seinen moderne Ausrichtung und seinen Hafen bekannt. Und Den Haag für seine Institutionen hinsichtlich der Menschenrechte.
Als ich das erste Mal das North Sea Jazz Festival besuchte, wählte ich – da es in Rotterdam stattfindet – diese Stadt auch als Domizil. Aber sehr schnell stellte sich heraus, dass, über den Zeitraum von 10 Tagen, Den Haag einen Mehrwert bietet. Als einzige Stadt der Niederlande hat Den Haag zum Beispiel einen Strand.
Ich empfinde Den Haag auch als eine hübsche und angenehme Mischung aus Amsterdam und Rotterdam. Amsterdam zeichnet seine Grachten und alte Bauten aus. Rotterdam eher seine gewagte Architektur. Den Haag hat Beides. Grachten, Altstadt, sowie wuchtige, moderne Bauten im Börsenviertel. Den Haag ist Regierungssitz. Damit jene Stadt, die fast alle Botschaften und Konsulate in den Niederlanden beherbergt.
Rotterdam Bluegrass Festival 4,5 & 6 Juli 2025 (Noordplein Rotterdam) Bab L‘ Bluz
Im Jahr 2025 versuchte ich weitere Konzerttermine in meinen Aufenthalt zu legen und entdeckte dabei das Bluegrass-Festival in Rotterdam. Bluegrass ist eine Richtung, die selbst in den USA, einen Sonderstatuts in der Countryszene bildet. Sie ist eine abgewandelte Form des sogenannten Western-Swings und fußt damit in der traditionellen Tanzmusik, die speziell in abgelegeneren Dörfern gepflegt wird. Banjo und Geige gehören neben den akustischen Gitarren zu den beliebten Instrumenten. Es gibt damit Übergänge und verwaschene Grenzen zum Blues, aber auch zur Cajun und der Zydeco Musik. Zydeco selbst wird oft als Spielart des Blues gesehen.
Das in Rotterdam seit vielen Jahren ein sehr engagiertes Bluegrass-Festival stattfindet, damit eher ein geschätzter Geheimtipp ist, wußte ich bis dahin nicht. Bluegrass-MusikerInnen haben eine kleine, aber hartnäckige Fangemeinde, die ihnen lange die Treue halten und vor allem zu den wenigen Auftritten nach reisen. Zu Einzelnen komme ich in den folgenden Tagen noch.
Wenn man Rotterdam in zwei Hälften teilt, dann könnte man die Zuglinie, die zum Rotterdamer Bahnhof – der Central-Station – führt, als Grenzlinie sehen. Auf der einen Seite, Richtung Hafen, ist Rotterdam mit einer wachsenden Skyline versehen, die jedes Jahr spektakulärer wird und sich durchaus mit großen Megastädten messen kann. Globale Unternehmen mieten sich dort ein, die Baugebiete werden den Hafenbecken abgerungen und ehemalige Arbeiterviertel werden von Neubauten durchbrochen. Das hat durchaus Aspekte der Gentrifizierung.
Bewegt man sich vom Hafen weg, in das Landesinnere, auf die andere Seite der Gleise, findet man sich in einer sehr multikulturellen Umgebung wieder. Rund um den Platz Noordplein haben sich vor allem arabisch-geprägte Unternehmen angesiedelt. Die Frauen tragen mehrheitlich sehr modische Varianten des Kopftuchs und die Küche der Fast-Food-Restaurants entspricht dem vorherrschenden Kulturkreis. In der Hauptstraße, die direkt auf den Platz mündet, geht es ausgesprochen lebendig und bunt zu. In den Seitenstraßen gibt es Galerien und einige Spezialgeschäfte, die hier Platz für Experimente finden.
Ehemaliges Gefängnis Oude Noorden-Rotterdam
Ebenso findet sich hier auch ein Bauprojekt, dass sowohl außergewöhnlich, wie gekonnt die Umwandlung eines ehemaligen Gefängnisses in ein Wohnhaus abbildet. Aus einem sternförmigen, typischen Gebäude, dass früher Zellen und seine Gefangenen beherbergte, ist quasi eine kleine Siedlung mit Reihenhäuschen und repräsentativen Wohnungen geworden. Zellenstrukturen wurden heraus und so umgebaut, dass es zu geräumigen Immobilien in einer parkähnlichen Anlage wurden.
Ehemaliges Gefängnis Oude Noorden-Rotterdam
Die komplette Gegend, die sich um den Platz für das Bluegrass-Festival schmiegt, entspricht einer aufstrebenden Community, die Freiraum für unterschiedliche Lebensweisen, aber auch einen guten Humus für interessante Formen und Varianten bietet. Kleine Cafés mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen haben sich hier angesiedelt. Da niederländische Städte immer wieder von größeren und kleineren Flüssen durchkreuzt werden, liegt auch Noordplein direkt an einem Fluß, der sehr zum Flair der Gegend beiträgt.
Es spricht für das Festival, dass der Eintrittspreise vergleichsweise symbolischer Natur sind und es damit vor allem Menschen aus dem Viertel anzieht, die das Angebot gerne annehmen.
Das Festival selbst spielt sich auf drei Bühnen ab, von denen zwei für die musikalischen KünstlerInnen vorgesehen sind und eine für Talks, Engagements, Vorstellungen von Initiativen und ähnlichem gedacht ist. Überhaupt ist das Festival neben dem kulinarischen Angebot sehr darauf bedacht, kleinen Händlern aus dem Themenkreis (Instrumente, Tonträger, Kleidung, Vintage-Artikel, aber auch Handwerkskunst) eine Plattform zu bieten.
Das Publikum besteht – wie bereits erwähnt – erfreulicherweise zum großen Teil aus der Community der Umgebung. Die auftretenden KünstlerInnen waren mir teilweise schon von anderen Gelegenheiten bekannt und von einer erstaunlich hohen Professionalität. Dabei gibt es sowohl niederländische Vertreterinnen, wie auch ausgesprochen bekannte Namen aus den USA, aber auch aus Frankreich und anderen Ländern. Wer sich auskennt, dem werden Namen wie Chicken Wire Empire, Yes M‘am oder Angry Zeta durchaus geläufig. Wer sie nicht kennt – betrachte es als Empfehlungen.
Rotterdam Bluegrass Festival 4,5 & 6 Juli 2025 (Noordplein Rotterdam) Pixie & the Partygrass Boys
Country und Bluegrass haben den Ruf eine eher konservative Musikrichtung darzustellen, die in einem vergangen Amerika verhaftet ist. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Wie in vielen anderen Stilrichtungen auch, fand tendenziell in den letzten Jahren eine Öffnung zur Americana und Roots-Bewegung statt. Zwei Richtungen, die sich zwar auf die Ursprünge besinnen, aber auch sehr kritisch die Verdrängung der einstigen Kultur betrachten und um ihre Erhaltung gegen die Kommerzialisierung kämpfen. Dabei kommt es zum Schulterschluss mit dem Blues und den artverwandten Richtungen. Und Blues heißt in dem Fall auch mal jene Richtung, wie man sie aus Magreb kennt. Also mit afrikanischen Einflüssen, wie sie Bab‘n‘Bluz darboten.
Das Bluegrass-Festival ist alles in allem ein liebenswertes, kleines Treffen von Fans, die bereit sind, den Themenkreis durchaus auszuweiten. So lange es sich um traditionelle, handgemachte Musik handelt, die irgendwie verwandt ist, mit dem was Plattenlabels wie Sugarhill, Rounder und Folkways allgemein publizieren. An drei Tagen wird dabei eine möglichst bunte Palette vor einem ebenso farbenfrohen Publikum geboten. Mit etwas Glück trifft man dort natürlich auch Menschen, die so viel Spaß an dem Ganzen haben, dass sie den Lebensstil repräsentieren. Ist für alle genug Platz da, und sie laden garantiert im nächsten Jahr wieder ein. Karten sollte es schon bald geben.