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Tag: Schallplatte

Mae.Sun – „Vol. 3 Reverence“

Mae.Sun – „Vol. 3 Reverence“

Zu Vol.3 Reverence, der dritten Platte von Mae.Sun, muss ich eine kleinere Geschichte erzählen. Mae.Sun ist ein Projekt von Hailey Niswanger, einer jungen, sehr begabten Saxophonistin aus Los Angeles. Auf Vol.3 Reverence spielt sie jedoch nicht nur Saxophone, auch der Gesang, Flöten, Klarinetten, Synthesizer und Piano wurden von ihr eingespielt.

Mitgewirkt an dem Album haben Nikara Warren, Vipraphone,  Asher Kurtz an der Gitarre, Axel Tosca an den Keyboards und Synthesizer, sowie Kyle Miles am Bass und David Frazier Jr an den Drums.

Hailey Niswanger fiel mir das erste Mal auf, als ich sie 2024 mit Kinga Glyk auf dem NorthSeaJazz-Festival in Rotterdam sah. In einem bemerkenswerten Auftritt begeisterte Kinga ihr Publikum auf einer relativ kleinen Außenbühne. Derselben Bühne auf der ich schon vor vielen Jahren Jon Batiste auf einem seiner wenigen Auftritte in Europa sah.

Hailey Niswanger, die nicht zur festen Band von Kinga gehörte, begleitete sie auf dem Saxophone. Mit einer auffallenden Begeisterung und Präzision unterstützte sie den Bass von Kinga und war eine der herausragenden Musikerinnen innerhalb des Sets. Kingas Spiel ist sowieso immer von einer besonderen Wärme und Sympathie gezeichnet.

Die Nahbarkeit, die ihre Bühnenpräsenz ausmacht, wurde durch Hailey verstärkt. Um es einfach und kurz zu machen, Kinga Glyk mit ihrer Band, in der Kombination mit Hailey Niswanger gehörten zu einem der Highlights des Rotterdamer Jazz Festivals.

Haily Niswanger in Rotterdam auf der Bühne des Northsea Jazz Festivals mit der Band von Kinga Glyk (2024)

Das Jahr 2025 dagegen begann nicht gut. In Los Angeles kam es zu einigen katastrophalen Feuern, deren Auswirkungen immer noch aktuell sind, während ich diese Zeilen schreibe. Noch immer schwellen Brände auf. Noch immer sind die Feuer aktiv. Das Thema scheint noch nicht vorbei zu sein. Und es ist abzusehen, dass es in Kalifornien ein wachsendes Problem bleiben wird.

Hailey Niswanger berichtete auf Instagram davon, dass bei den verschiedenen Feuern auch Altadena betroffen war. Hierzulande wurde hauptsächlich von den Pacific Palisades berichtet, einem Stadteil, der ebenfalls stark unter den Flammen gelitten hat. Altadena war dabei in der Berichterstattung gar nicht so sehr im Focus. Und es wurde der Eindruck erweckt, als seien die Feuer vor allem in den Vierteln aktiv, in den begüterte Stars leben. Das konnte natürlich nicht so stimmen. Nach den momentanen Schätzungen betraf es über 12.000 Häuser. 

Altadena ist eine relativ mittelständische Gegend. Das Haus von Hailey Niswanger brannte dabei komplett nieder. Es blieb, außer der Garage und den Grundmauern nichts übrig. Ihr komplettes Leben, ihre Instrumente, Erinnerungen, ihr Auto, alles wurde ein Opfer der Flammen.

Auf Instagram postete sie Videos und Fotos des Unglücks. 

Seit ihrem Auftritt in Rotterdam hatte ich mir überlegt ihre Platte zu bestellen und tat es nun spontan über Bandcamp. Aber ich schrieb sofort dazu, dass sie mir die Platte nicht senden muss, es ja wohl wichtigeres gäbe und ich die Music digital von Bandcamp zum Kauf der Platte dazu bekam. Das würde reichen. Bitte nicht senden. Ich wollte wirklich nicht, dass sie sich damit belastet. Mir ging es einfach nur darum, irgendetwas zu tun. Das veranschlagte Porto war sowieso höher als der Preis selbst. Insofern dachte, alles okay. Soll sie einfach annehmen.

Einige Tage später erreichte mich eine Mail, in der sie sich bedankte, und meinte, sie würde mir aber wirklich gerne die Platte senden. Ihre Mutter, die in einem anderen Staat lebt, hätte noch Exemplare.

Ich war überrascht und berührt, aber bekräftigte nochmal, dass alles okay sei, ich Ihre Musik genieße und hoffe, dass sie ein neues Zuhause findet.

Die Platte kam eine Woche später.

Ich drücke ihr wirklich die Daumen, dass sie in Kalifornien ein neues, sicheres Haus findet, dass ihr und allen anderen Betroffen geholfen wird.

Vol 3. Reverence“ ist ein sehr einfühlsames, naturverbundenes Werk, mit einem angenehm ruhigen Rhythmus. Wie schon bei der Vorstellung der Stücke auf den sozialen Medien, zeichnet es sich durch ein Liebe zu der Umgebung und den grundsätzlichen Werten aus.

Die Stücke heißen denn auch Eternal, One, Complete, Rising, Nutur, Worthy, Elemental und Honest. Das Album gewinnt nach mehrmaligen Hören, denn es gibt in den Arrangements viel zu entdecken.

Ich muss zugeben, dass ich mich einige Tage nicht an die Rezension gewagt hatte, weil ich nicht wusste, wie ich die Geschichte erzählen soll. Immer wieder wurde in den Nachrichten davon berichtet, dass die Winde, die Feuer neu entfachten. Gleichzeitig sah ich, dass Hailey wieder Konzerte gab. Also war es an der Zeit sie darin zu unterstützen. Wie alle ihre Platten, die unter dem Projektnamen Mae.Sun erschienen, handelt es sich bei „Vol. 3 Reverence“ um den Versuch ein Entwicklung in einem Gesamtwerk zu schaffen, dass sich anschließt an das Vorangegangene, aber vor allem die Liebe zeigt, die sie für die Dinge empfindet, die sie umgeben. 

Es ist ihr, und allen anderen in der Region zu wünsche, dass sie jede Unterstützung bekommen, die sie gerade benötigen. Auch damit wir sie bald wieder auf europäischen Bühnen begrüßen können.

Externer Link: Mae Sun – maesunmusic.com

Externer Link (Instagram): Mae Sun – https://www.instagram.com/mae.sun.music/?hl=de

Ben Böhmer – Bloom

Ben Böhmer – Bloom

Das weite Land, in dem sich Neo Klassik, Ambient, Lounge, Downbeat und ähnliche Genres tummeln, wird ganz allgemein Electronica genannt. Es öffnet damit die Möglichkeit, spielerisch alles in sich zu vereinigen und die Grenzen zwischen U- und E-Musik zerfasern zu lassen. Gottseidank, möchte man sagen. 

Ben Böhmer nimmt mit, was er mitnehmen kann, um ein komplexes Werk zu formen, dass die Unruhe des Clubs in sich trägt, aber trotzdem die Sphären der Ruhe anstrebt. Die Vocals werden dabei von Lykee Li, Jonah, Malou, Erin LeCount und Enfant Sauvage, Max Milner und Oh Wonder bedient. So breitgefächert wie das Personal am Mic, ist daher auch die stilistische Bandbreite. 

Ninja Tune hat der Platte ein sanftes Karamell fürs Auge gegönnt, und ähnlich fluffig angenehm schleichen sich die eröffnenden Stücke ins Ohr. Wie Sonnenaufgänge, die einen angenehmen Tag verkünden, kommen sie daher. „Martin“ auf Seite A, „Memory Cassettes“ auf Seite B möchte man beide gerne anwachsen lassen und begleitend auf die Reise durch die Stadt nehmen. „Rust“ auf Seite C passt gut zu den S-Bahnen deiner Großstadt, und den ersten Schritten aus dem Club am frühen Morgen. Allgemein scheint das Gefühl des Aufbruchs sehr passend.

„Rain“ auf der letzten Seite eröffnet zwar mit Ruhe, und balladeske Konzentration auf die Stimme Max Milners, trägt aber auch den Blick auf das was kommt und hinter sich gelassen wird. Raum und Zeit für eine Betrachtung.

Überhaupt: Wo Stimmen auftreten wird das Konzept erweitert und durchbrochen. „Hiding“ von Lykke Li ist ein atmosphärisch dichtes, von ihr getragenes Werk, das auf verschiedenen Ebenen funktionieren mag. Sowohl in seiner Ruhe  und wie in dem begleitenden Rhythmus. „Best Life“ und „Beautiful“ haben, in ihrem vereinenden Pop-Charakter, das Zeug für Hymnen, während Erin LeCourts verlangsamte Ballade „Faithless“ im urbanen Umfeld seine anklagende Kraft entfalten möchte.

Dagegen wirkt „Riverside“ geradezu geschaffen für sakrale Betrachtungen der Tanztempel. Mit volltönenden, vielschichtigen und verhallenden Klängen einer orchestralen Bearbeitung verwoben, unterstützt es eine Umarmung aus einem Wall of Sound, der die Tanzenden in gleichmäßigen Bewegungen einwickelt. Das kommt und geht in Wellen. Allein die Kürze mag ein Manko sein.

Fast minimalistisch und zurückhaltend mutet „The Sun“ an. Ein kleines folkloristisches Popwerk, das seine Kraft in den Akzenten setzt, die den Gesang in die erste Reihe stellen. So formt das instrumentale „Blossoms“ einen Abschluss, der in das Abendrot mündet. Von seiner Triebkraft entschleunigt, genügt ein letzter Blick über die Felder.

Diana Brown & Barrie K. Sharpe – „The black, the white, the yellow and the the Brown (And don‘t forget the redman)“

Diana Brown & Barrie K. Sharpe – „The black, the white, the yellow and the the Brown (And don‘t forget the redman)“

ACID JAZZ (U.K. 828304.1)

Das Genre Acid Jazz sorgte zu seiner Zeit durchaus für Verwirrung. Eigentlich ein Label, dass sich mit seiner Namensgebung an eine House-Richtung anlehnte. Aber ursprünglich so gut wie nichts mit House zu tun hatte. Acid war damals, im wahrsten Sinne in aller Munde, und eine Grundlage für die Rave-Bewegung wie auch für den zweiten Summer of Love in London. Die Definition von Acid-Jazz war nicht einfach, beschäftigte die Musikjournalisten, und von der besagten Label sah man das eher mit einem Schmunzeln als mit einem wirklichen Bemühen die Situation aufzuklären.

Geneigte Hörer sahen darin eine Auflockerung des Jazz hin zu einer durchaus tanzbaren Version. Ungeachtet der Tatsache, dass Funk, Soul, R’n’B-Einfluss so prägend waren, dass es sich bei manchen Stücken einfach nur um gute Wiedergänger vergangener Rhythmen handelte, die sauber eingespielt und modern aufgepeppt eben nichts anderes waren als Soul und Funk.

Das soll aber weder das Engagement, noch das musikalische Vermögen mancher Acid-Jazz-Bands schmälern. Großartige Künstler kamen dabei zusammen, die Situation war alles in allem erfrischend und befruchtend. Acid-Jazz kam damals nicht aus dem Nichts, denn schon ein Jahrzehnt davor hatte der sogenannte Pop-Jazz, der Bands wie Blue Rondo de la Turk, Carmel, Matt Bianco und Everything but the Girl dafür gesorgt, Jazz-Anleihen in den Clubs populär und tanzbar zu machen. 

Die Übergänge waren dabei fließender und wechselseitiger als man das damals sehen wollte. Die Acid-Jazz-Bands wie Galliano und Brand New Heavies sahen sich durchaus in der Tradition großer Soul- und Funkbands, aber ohne die Vorarbeit in den Achtzigern wäre es wohl nicht so populär gewesen. Es verwundert daher nicht, dass dort, wo heute noch Acid Jazz produziert wird (z.b. Italien) auch Matt Bianco in der aktuellen Inkarnation durchaus populär ist.

Typisch war für den Acid Jazz, dass eine Menge Bands einen Vertrag bekamen, die über ein einziges Release hinaus nicht weiter bekannt wurden. Diana Brown und Barrie K. Sharpe hatten nur diese eine Platte abgeliefert, die durchaus zu feiern ist, denn selten wurde die Essenz der ganzen Richtung so komprimiert auf Vinyl gepresst. Dort finden sich genau die Funkanteile und harmonischen Gesänge, verweise auf Rap und HipHop allgemein, dass man es als Statement und Grundlage für viele weitere Experimente erleben kann.

Die Maxi-Singles, die aus diesem Album herausflossen, waren sowohl im Zusammenhang mit dem später formulierten Neo-Soul wegweisend, haben aber bis heute eine angenehme Zeitlosigkeit, die durchaus tauglich für nette Lounge-Abend ist. 

Allem voran „The Masterplan (Ropeman Mix)“, dem Stück, dass das Album einleitet und mit „Colours (Black, White, Yellow, Brown, Red)“ und „Eating me alive!“ ein homogenes Gesamtwerk darstellt. Es gibt wahrscheinlich, verstreut auf verschiedenen Singles, einen Berg Remixes, die in jedem Detail eine sehr moderne Soul-Interpreation darstellen, die in dieser Weise einfach Teile eine herausragenden Produktion sind.

Es gibt im Acid Jazz einige hervorstechende Alben, die heute noch wegweisend und beispielhaft sind – Diana Brown & Barrie K. Sharpe hätten es verdient gehabt in dieser Liste aufgenommen zu werden. Das komplette Album ist rhythmisch so homogen, dass man es gerne und unbewacht vor Publikum abspielen kann, ohne die Tanzfläche endgültig zu veröden. Guter Stoff, und aufgrund seines Alters und wenigen Bekanntheit auch zu einem angenehmen Preis zu erwerben.

Externer Link 1: YouTube https://youtu.be/n6I0CtocnZ0?si=6mpyHOOKBlu22tau

Externer Link 2: Wikipedia (englisch) https://en.wikipedia.org/wiki/Diana_Brown_%26_Barrie_K._Sharpe