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Schlagwort: Klezmer

North Sea Jazz Festival, Rotterdam,  11-13 Juli 2025 (Teil 2)

North Sea Jazz Festival, Rotterdam,  11-13 Juli 2025 (Teil 2)

Dora Morelenbaum auf der Bühne des Mississipi auf dem North Sea Jazz Festival 2025

Teil 1. des Berichtes findet sich hier: https://jazznrhythm.com/north-sea-jazz-festival-rotterdam-11-13-juli-2025-teil1

Das North Sea Jazz Festival in Rotterdam ist auf dem Messegelände auf dem Ahoy angesiedelt. Beim Ahoy handelt es sich um einen Hallenkomplex, der sowohl für Konzerte, wie auch für Kongresse und Fachmessen geeignet ist. Während der Coronazeit waren hier die Impfzentren untergebracht, aber auch Betten um Erkrankte zu isolieren. In diesen Jahren fiel das North Sea Jazz Festival aus. 

North Sea Jazz Festival - Ahoy Rotterdam Im Jahr 2018
North Sea Jazz Festival – Ahoy Rotterdam Im Jahr 2018

Ursprünglich, so die Legende, fand das North Sea Jazz Festival nicht in Rotterdam, sondern im nahegelegenen Den Haag statt. Irgendwann wurde der Andrang und die Namen zu groß, so dass sich das Festival schließlich in Rotterdam ansiedelte.

Das North Sea Jazz Festival hat sich im Laufe der Jahre als Veranstaltungsreihe etabliert, so dass auch außerhalb der regulären Festivaltage im Juli, weitere Konzerte unter diesem Label stattfinden. Abgesehen davon gibt es seit einigen Jahren ein zusätzliches Festival unter diesem Namen, dass in Curacao residiert und mit einer ähnlichen Besetzung auftrumpfen kann. Das North Sea Jazz Festival hat sich zu einer erfolgreichen Marke entwickelt. Einige der legendären Aufnahmen, die im Rahmen der Tage entstanden, finden sich heute auf Platte, auf CD oder online. Spektakulär sind z.B. die Konzerte mit dem Metropol Orkestra, die sich oft in ihrer gesamten Länge auf YouTube finden. 

North Sea Jazz Festival - Ahoy Rotterdam
North Sea Jazz Festival – Ahoy Rotterdam

Es handelt sich hierbei um sehr exklusive Aufnahmen von Konzerte, die in dieser Form nur hier stattfinden. Das Metropol Orkester studiert dafür mit einigen der größten Stars der Szene großartige Orchesteraufnahmen ein, die nur ein, maximal zweimal aufgeführt werden. Berühmte Namen in diesem Zusammenhang waren Jonathan Jeremiah, Laura Mvula, Joe Bonamassa und zuletzt, 2025, Jacob Collier. Die Chance mit diesem Orchester zu spielen, gehört nicht nur zu einem der Highlights, sondern auch wahrscheinlich zu einem der größten Lockmittel des Festivals.

Das Festival selbst übt über den Zeitraum der drei Tage einen prägenden Einfluss auf ganz Rotterdam aus. Die Stadt ist gefragt, und bietet mit „Jazz around the town“ eine kostenlose Reihe an, die sich über verschiedne Stationen im gesamten Innenbereich der City erstreckt. Überall spielen Bands auf öffentlichen Plätzen, auf Bahnhöfen, vor Restaurants, in Metro-Stationen, auf Straßen, Fußgängerzonen, in Kneipen und vielen anderen Orten.  Dabei handelt es sich in der Regel um regionale und lokale Bands aus den Niederlanden, die allerdings von einem erstaunlichen Niveau und einer ausgereiften Spielweise zeugen. 

North Sea Jazz Festival - Ahoy Rotterdam
North Sea Jazz Festival – Ahoy Rotterdam

Der Genremix geht dabei weit über Jazz hinaus. Mittlerweile hat das North Sea Jazz Festival ein großes Herz für Weltmusik, Soul, Hip-Hop, ja selbst Electronica gefunden. Also ist auch im Umfeld viel tanzbares, alte Klassiker der Motown – und Philly-Ära und vieles mehr anzutreffen. Ähnlich wie das Festival in Montreux ist, wenn man es von der Position der Jazz-MusikerInnen sieht, die Welt groß und breit und bereit für Crossovers. 

Das North Sea Jazz Festival hat sich hier immer bereit für Neurungen, Avantgarde und unabhängige Künstler gezeigt. Es war fast selbstverständlich, dass auf eine der teilweise bis zu 16 Bühnen mindestens eine (das Darling) neuen Künstlerinnen gewidmet war. Hier traten Namen auf, die gerade im Sprung waren, vielleicht einen Hit hatten – diesen aber eher in Instagram oder TikTok – oder sonstwie im Visier auftauchten.

North Sea Jazz Festival - Ahoy Rotterdam
North Sea Jazz Festival – Ahoy Rotterdam

Das North Sea Jazz Festival bietet innerhalb des Hallenkomplexes eine Reihe ganz unterschiedlicher Bühnen. Zum einen gibt es das Maas, mit einem mehrstöckigen über mehrere Emporen verteilter Publikumsbereich, zum anderen das Nile. Bei beiden Bühnen handelt es sich um die Hauptveranstaltungsorte, die für die größten Acts ausgemacht sind.

Missippi dagegen ist eine Außenbühne. Hier finden sich oft Weltmusiker, also Gäste aus Lateinamerika oder solche, die eine Richtung vertreten, die zwar schwungvoll, jedoch nicht ganz so populär ist. Jon Batiste hatte hier seinen ersten Auftritt in Rotterdam, sowie die Amsterdam Klezmer Group oder das Amsterdam Funk Orchestra.

Um alle Bühnen im Einzelnen vorzustellen, werde ich einen weiteren Teil bemühen, in dem ich auch auf die diesjährigen Künstler stärker eingehe. Seid also gespannt auf Teil 3.

Das Amsterdam Funk Orchestra auf der Mississippi Bühne des North-Sea-Jazz-Festivals 2025

Tonspur Nr. 11: Belina „Songs aus aller Welt“

Tonspur Nr. 11: Belina „Songs aus aller Welt“

 Belina - Songs aus aller Welt

Titelliste:

  1. Shir l‘lo Milim
  2. El Vito
  3. Por Siguiriyas
  4. Suliram
  5. Troika
  6. Burgalesa
  7. Pastechl
  8. Man hat uns nicht gefragt
  9. A jiddische Momme
  10. Varche
  11. Es brennt
  12. Az der Rebbe tanzt
  13. March zu di Eigalach
  14. Exodus

Belinas Alben nannten sich immer „Music around the World“, „Lieder aus aller Welt“ oder wir hier „Songs aus aller Welt“. Fast alle ihre Aufnahmen, bis auf ihre späteren Werke, nahm sie mit dem klassischen Gitarristen Siegfried Behrend. Von ihm gibt es auch auf den verschiedensten Labels vorzügliche Aufnahmen spanischer Gitarrenmusik.

Das Projekt Belina und Siegfried Behrend war in den sechziger Jahren außergewöhnlich, weil sie als eine der Ersten in Deutschland, es wagten jüdische Musik wieder zu etablieren. Belina beschränkte sich jedoch nicht nur auf diesen Kulturkreis, sondern traute sich, sprach- und vielseitig begabt, genauso an spanische Tänze, russische Weisen und Indonesische Musik. Ihre Interpretation war in der Regel sehr getragen, sehr ernsthaft und stark in den Traditionen verwurzelt. Sie behandelte die musikalischen Stücke mit Respekt und Hochachtung. Ihre eigene Singweise orientierte sich die authentischste, reinste Form, die möglich war.  „Songs aus aller Welt“ ist daher eine eher ruhig, manchmal tragische und dramatische Platte, die durch das zurückhaltende, aber kunstfertige Spiel von Siegfried Behrend unterstrichen wird. Das ist kein Klezmer, wenn es jüdisch wird, keine Aufforderung zum wilden Tanz, aber ein historisch wichtiger Fingerzeig, wer im Deutschland der Nachkriegszeit dem Folk einen Weg schuf.

Tonspur ist eine kleine Reihe, die in kurzen und knappen Beschreibungen (maximal 200 Wörter) sich mit den Alben befasst, die ich im Laufe des Tages anhöre. Sie folgt damit keinem Genre und keiner Reihenfolge. Ist lediglich nummeriert

Black Sea Shipping Company bei „Das Fest goes Schlachthof“ im Tollhaus am 23.07.2025

Black Sea Shipping Company bei „Das Fest goes Schlachthof“ im Tollhaus am 23.07.2025

Black Sea Shipping Company bei „Das Fest goes Schlachthof“ im Tollhaus am 23.07.2025

An einem einzigen Tag gönnt sich der Aufbau des Festes auf der Günther-Klotz-Anlage etwas Ruhe, um die letzten Dinge vor der Eröffnung am Donnerstag noch zu testen und auf den besten Stand zu bringen.

Das traditionelle „Fest am See“, das in der Zeit vor dem Festival stattfindet, wird dann in die Räumlichkeiten des alten Schlachthofs verlegt. Der „Alte Schlachthof“ entwickelt dabei eine eigene Dynamik und Tradition, die alle Spielstätten und Lokalitäten vor Ort mit einbezieht. 

In diesem Sinne öffnet auch das Tollhaus seine Pforten, verlagert das Zeltival, das zur Zeit stattfindet, in den Innenhof und baut eine Open Air Bühne auf. Tatsächlich fühlt sich alles noch mal an, als ginge es zurück zu den Wurzeln. 

„Das Fest goes Schlachthof“ vermischt dabei in angenehmer Weise das Publikum der Events. So kommt es, das FEST-Besucher in Berührung mit den Aktiven der kleinen Veranstaltungsorte kommen, aber auch im umgekehrten Fall, das FEST seine Vorteile hinsichtlich der Vielfalt ausspielen. 

In diesem Rahmen ist die Black Sea Shipping Company bestens angesiedelt. Seit 2021 erspielen sie sich ein bunt gemischtes Publikum, das die Bandbreite der jungen Band zu schätzen weiß. Auch im Tollhaus ist die Mischung aus Swing, Balkan, Klezmer und Americana die Aufforderung zum Tanz.

Black Sea Shipping Company bei „Das Fest goes Schlachthof“ im Tollhaus am 23.07.2025

Es geht mitllerweile wild und ungestüm auf den Konzerten her. Es wird gewippt, geschnippt, die Menge wird unruhig, springt herum und feuert die Band an. Ein fester Stamm an Fans hat sich etabliert. Darunter Lindy-Hop-Tänzer, Folkfans und alle die, raue Songs, ukrainische Poesie und handgespielte Instrumente mögen. 

Die Stimmung ist ausgelassen. Die Freude der Band darüber anzusehen, und so ist das Wechselspiel zwischen den MusikerInnen und ihren Fans, ein wachsendes Potential. Ihr Ruf wird ihnen voraus eilen. Die Freunde ihnen folgen. 

Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit bis die Konzerte voller, die Räume größer werden und die Black Sea Shipping Company ihren Namen und ihre Zugkraft voll einsetzen kann. Musikalisch sind sie eingespielt, beherrschen die Vielzahl ihrer Instrumente und bieten dabei eine Spannbreite an Möglichkeiten, die scheinbar von Konzert zu Konzert erweitert wird. 

Ich konnte sie leider nur bis zur ersten Hälfte verfolgen, denn das Angebot auf dem „Fest goes Schlachthof“ läuft weitgehend parallel ab. Das heißt, es gab unweit noch weitere Gruppen, auf die ich gerne einen Blick werfen wollte. Die Black Sea Shipping Company werde ich wieder sehen. Empfohlen ist das Konzert am 24.10.2025 im Tempel. Vermutlich wird es voll. Und sicher wird getanzt. Macht euch auf was gefasst.

Die Black Sea Shipping Company hat übrigens im englischen Wikipedia einen legendhaften Eintrag über eine einst real existierende Schiffahrtsgesellschaft. Es ist fast an der Zeit, dass dieser Eintrag um einen berühmten zweiten Punkt für eine weitere Bedeutung ergänzt wird, denn die Karlsruher Gruppe macht gerade ihren Weg.

Externer Link: Black Sea Shipping Company – blackseashippingcompany.de

Externer Link: Tollhaus – Tollhaus.de

Das Klezmer Quartett Heidelberg im Kultur Fenster, Heidelberg, am 11.05.2025

Das Klezmer Quartett Heidelberg im Kultur Fenster, Heidelberg, am 11.05.2025

Das Klezmer Quartett Heidelberg im Kulturfenster, Heidelberg am 11.05.2025

Fast schon eine Institution. Immer im Sinne der Aufklärung. Das Klezmer Quartett Heidelberg gastierte, eine Tradition, im Kulturfenster Heidelberg.

Der erste Auftritt vor 25 Jahren fand ebenso in diesem Rahmen statt, wie die jährliche Wiederkehr. Das Kulturfenster Heidelberg ist eins der ambitionierten, kleineren Veranstaltungsorte. Ausgestattet mit einer überschaubaren Anzahl Sitzplätzen, rangiert es immer noch etwas versteckt unter den Geheimtipps, aber ist in Professionalität und familiärer Atmosphäre auf jeden Fall einer der angenehmeren Orte.

Das Klezmer Quartett Heidelberg gehört nicht nur zu den geschätzten Stammgästen, sondern ist auch verbunden mit seiner wechselvollen Geschichte, die begründet im Tod eines Bandmitglieds beinahe vor Jahren das Aus der Formation hätte bedeuten können. 

Sie machen seit einigen Jahren entschlossen weiter und schauen dabei auf ein vielseitiges Repertoire zurück. Erlaubt es ihnen doch, geübt und nonchalant mit Witz und Anekdoten, durch die Geschichten der Band und der Musik des Klezmer zu führen.

Akkordeon, Trompete, Saxophone, Klarinette, sowie Stehbass dienen dabei als Grundlage für eine virtuose Reise durch die Historie des Musikstils. Vor allem Ausgrabungen, frühe Veröffentlichungen, fast vergessenes und neu interpretierte Klassiker liegen ihnen am Herzen. Namen, die eher nicht geläufig sind, aber für die Reichhaltigkeit der ganzen Richtung stehen. Vier Musiker, alle individuell und solistisch stark genug, die Akzente der unterschiedlichen Varianten zu betonen.

Das Klezmer Quartett sind die fröhlichen Forscher und gewitzten Übersetzer der Vielseitigkeit. Sie wagten sich an die Transkription einer Dudelsackgruppe (die ausgesprochen groß und fett geklungen haben muss). Aber genauso jedoch an eine verschollene Aufnahme, die titellos auf einem Tape seinen Weg in die Setliste gefunden hatte. Das „Stückle“. Weil kurz, prägnant und unbekannt.

Gefeiert, angenommen, und gerade zu enthusiastisch begrüßt In diesem Rahmen, war es für das Klezmer Quartet Heidelberg die Heimkehr in das eigene Wohnzimmer. So fanden sich selbstverständlich Klassiker, bekannte Melodien, Jazz-Sprengsel, aber auch die schwungvollen Einflüsse des Balkans in ihrem Spiel. 

Dabei eingespielt, geübt, gewappnet mit Zitaten, blieb der Band zwischen all Spielfreude, und dem ausgedehnten Programm, Zeit und Besinnlichkeit auf den aktuellen Zustand der Demokratie, wie auch dem bedauerlichen Tod der letzten Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer hinzuweisen.

In einer Zeit, die von eine anstrengende, politische Situation geprägt ist, macht es Sinn die Geschichte des Judentums, dessen Vertreibung und Migration, immer im Kontext zu der Entwicklung ihrer Musik zu sehen ist. Und auch eben hinsichtlich der Aktualität zu betrachten.

Das Klezmer Quartett bewegt sich mit der Gradwanderung geübt auf einem geradezu schwierigen Feld.  Der Charme der jüdischen Musik war ja immer gezeichnet von der Diaspora und der Offenheit für Orchesterwerke. Manchmal auch nur dem Broterwerb dienend, hatten fremde Stücke nichtsdestotrotz ihre Wirkung auf das Schaffen der Musiker. So ist auch aus dem Spiel des Klezmer Quartetts Heidelberg, die Tanzmusik des frühen 19. Jahrhunderts, genauso wie der Sound der kräftigen Big-Bands, ausgedrückt im lauten, überschäumende Spiel aus Trompete und Akkordeon, nicht wegzudenken.

In all den Jahren, und sie sind ja nun schon einige dabei, haben die vier Musiker es geschafft ihr Publikum zu festigen, in ihrer Bühnenpräsenz und dem Zusammenspiel mit einem Augenzwinkern alle Klippen zu umschiffen und der Selbstironie für einen sympathischen Abend viel Raum zu lassen. Das Klezmer Quartett bleibt auch nach all der Zeit erfrischend, und das Einzige, was man sich vielleicht nach 14 Jahren wieder wünschen würde, wäre sie – mit all ihrem Wissen und ihrer Kunst, sie mal wieder ins Studio zu schicken, um eine weitere Veröffentlichung auf CD zu wagen. Aber sie haben ja noch Zeit. Kein Grund die Hoffnung aufzugeben.

Externe Links:

Das Klezmer Quartett Heidelberg – https://www.klezmerquartett.de/

Das Kulturfenster Heidelberg – https://www.kulturfenster.de/