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Tag: Jazz

Cassandra Wilson – New Moon Daughter

Cassandra Wilson – New Moon Daughter

Lange Zeit wurde Cassandra Wilson als Bluessängerin bezeichnet. Auch weil sich immer wieder Interpretationen alter Bluesklassiker unter ihren Stücken befinden. Doch ihre Herangehensweise ist viel zu sehr von der Kunstfertigkeit ihrer vokalen Fähigkeiten geprägt, als von den Geschichten, die dem Blues innewohnen. Cassandra Wilson veredelt den Blues. Sie hebt ihn auf das Level, in dem alle Bestandteile zu geschliffenem Gold und purer Kunst werden. Muss man erstmal machen.

Ich kann mich gut daran erinnern, als ich dereinst einem Kollegen von einem kommenden Auftritt im Karlsruher Konzerthaus vorschwärmte. Und tatsächlich verwendete ich den Begriff Blues, weil ein jeder dieses Genre mit ihr in Verbindung bringen wollte. War einfach so. Ich ergatterte Plätze für die erste Reihe. Mein damaliger Kollege schlief ein. Erste Reihe, zwei Meter von Cassandra Wilson entfernt. 

„New Moon Daughter“ enthält neben Klassiker wie „Strange Fruit“, Werke von U2, Neil Young, Son House, Hank Williams und Robert Johnson. Aber auch eigene Werke, die aus ihrer Feder stammen. Das all dieses homogen und stimmig, wie aus einem Guss wirkt und damit scheinbar unvereinbares zusammenbringt, das ist die Kunst, die Cassandra Wilson beherrscht. 

Eingespielt mit einer Band, die im wahrsten Sinn des Wortes Cassandras Stimme begleitet, herausfordert und unterstützt, reiht sie die Songs wie auf einer Perlenkette auf, lässt sie einzeln strahlen und zwingt damit zum Zuhören.

Während meiner Schulzeit gab es einen Religionslehrer, der sich vehement darüber echauffierte, dass der örtliche Pfarrer Jazz in seine Kirche holen wollte. Diese Musik wird in Kneipen gespielt, die habe nichts in der Kirche verloren. Das waren die Siebziger. 

Cassandra Wilsons Musik wird nicht in Kneipen gespielt, und wenn, dann hat sich der Laden bereits geleert und die Band versucht noch mal für sich selbst, das Beste aus dem Vorhanden herauszuholen. 

Wo man vermutet alles schon gehört zu haben – nehmen, wir „The Last Train to Clarksville“ – breitet Cassandra eine farbenreiche Sammlung verschiedener Stimmlagen aus, die unvermutet eine Reise eröffnen und den Zug durch die Prärie in alle Gefilde begleiten. Das ist bunt, tief, hoch, mit genug Blues um zu bereichern, aber dem Verständnis des Jazz geschuldet.

Nämlich genau das ist es, was Cassandra Wilson ausmacht: Sie nimmt den Blues, wie wir ihn alle kennen, liebkost ihn, hütet ihn wie ein filigrane Pflanze und verleiht ihm neue Weihen und ein Größe, die ihm die Meisterschaft verleiht. Lag schon immer in ihm. War schon immer da. Hat nur auf sie gewartet. „New Moon Daughter“ zeigt, warum wir Robert Johnson, Son House, aber auch Hank Williams schätzen müssen. 

Cassandra Wilson öffnet das Songbook und Erbe wie einen Schatz, den es zu pflegen gilt. Dabei leitet sie, mit aller Ruhe und Bedacht, durch die Geschichte, die Landschaft, in der sie aufwuchs, und die Zeiten, die wir als hart und entbehrungsreich empfinden.

Man möchte ihr jeden Song, den man bisher zu schätzen wußte, zuwerfen, um sich dann an ihrer Interpretation zu erfreuen. Sie macht alles nur besser. „New Moons Daughter“ ist eine außergewöhnliche, faszinierende Jazz-Platte, die in ihrer Ruhe der Konzentration und Besinnlichkeit dienen kann, aber auch einen faszinierenden Umgang mit vermeintlichen bekanntem Liedgut zeigt.

Cinematic Orchestra – To Believe

Cinematic Orchestra – To Believe

Es kommt scheinbar schmucklos daher, dass fünfte Studioalbum des Cinematic Orchestras. Es war das erste Album, das nach 12 Jahren im Jahr 2019 erschien. Verpackt in einer gemeinsamen Hülle wiegen die beiden LPs mit ihrer Karton-Innenhülle schwer und wuchtig in der Hand. Und das haben sie mit dem Sound gemeinsam. Das Cinematic Orchestra bietet einen epischen Klangteppich aus Electronic, wirklichem Orchester und Soul inspirierten Stücken. 

Auf dem Cover findet sich nichts als die Worte „Cinematic“ auf der Vorderseite und „Orchestra“ auf der Rückseite. Nichts was darauf schließen lässt, was es enthält und beim ersten Hören fällt auf, dass das sicherlich die Absicht war. Denn, angesichts der vokalen Gaststars (Moses Sumney, Roots Manuva,Tawiah, Grey Reverend und Heidi Vogel) zeigt sich schon die Bandbreite, die genutzt wurde.

Zwei Stücke pro Plattenseite lassen Raum für lange Interpretationen, einen bewußt zurückgehaltenen Einstieg und ruhige Phasen, die in einem furiosen Gebilde enden können. Anspieltipp ist sicherlich das Jazz- und Soul-inspirierte „Caged Bird“ mit Roots Manuva auf Seite A. Und, das fast schon neo-klassische, tatsächlich an einen Film erinnernde „Workers of Art“ auf der dritten Seite. Eine Reise, die gerne schwarzweiß durch ein vergangenes Paris oder ähnliche Orte führen könnte. Um dann überzugehen, in das vielschichtige zwei geteilte „Zero One/This Fantasy“ mit Grey Reverend.

Überhaupt schmiegen sich viele Stücke aneinander, so dass sie ineinander übergehen, aber dabei so homogen wirken – man könnte auch eine Unentschiedenheit beim Titelgeben annehmen.

Es schließt alles, auf der vierten Seite , mit einem Versprechen ab („A Promise“). Interpretiert von Heidi Vogel, die in einem sehr verhaltenen Tempo eine beeindruckende Spannbreite vokales Können einsetzt. So nimmt sich eine Ballade all die Zeit und Breite, die eine komplette Plattenseite bieten kann. Das Cinematic Orchestra zeigt ein Detailreichtum, dass zum Wiederentdecken und Wiederhören einlädt. Für Kopfhörer und Abende mit den wichtigen Menschen und Dingen.

Externer Link: https://en.m.wikipedia.org/wiki/To_Believe#